Im Haus der unbeschreiblichen Trauer

von Rahel Fröse am 26. März 2017

Es ist ein warmer Tag. Ich mache mich mit meiner Kollegin auf den Weg. Es fällt mir nicht leicht, dieser Weg. Eigentlich würde ich ihn lieber nicht gehen. Doch ich weiß, dass Jesus möchte, dass ich ihn gehe.

Wir fahren erst über eine asphaltierte Straße. Da kommt die große Ebene. Dort, wo ich immer die vielen Ziegen meiner Freundin sehe, wie sie weiden. Jetzt denke ich unweigerlich an etwas anderes.

Irgendwann biegen wir von der guten Straße ab und folgen einer holprigen, mit Schlaglöchern gesäumten Straße. Uns kommt ein alter Mann mit einigen Kühen entgegen. Ein Kalb springt hinter her. Ich sehe Familien auf dem Feld arbeiten.

Wir beten gemeinsam. Beten für diesen anstehenden Besuch.

Am Rand der Straße stellen wir unser Auto ab. Dieses Haus, das muss es sein. Es ist warm. Ungewöhnlich warm. Es ist eine Dorfidylle. Und so still. So still. Als wenn die Wärme alle Geräusche aufsaugt. Alles so beschaulich, so friedlich. So wirkt es.

Wenn ich es nicht besser wüsste.

Mein Herz klopft. Langsam öffne ich das Tor. Ein großes Grundstück eröffnet sich uns. Da steht ein Auto und in ihm sitzt ein Mann. Wir begrüßen uns. Ich frage nach, bist du...

Ja, ich bin der Mann von Frieda. Ich sehe ihn an. Mein Herz wird schwer, ihn zu sehen. Voller Mitleid. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen. Doch ich weiß, in welcher Kultur ich hier lebe und lasse es.

Er führt uns in das Haus. Einige Frauen sind da. Alle in schwarz. Alle mit müden Augen, Traurigkeit und tiefer Schmerz liegt in der Luft. Wir treten ein in das Haus der Trauer. In das Haus einer guten Freundin, einer Frau, die wir wertschätzen und lieben.

Es tut mir weh im Herzen, die sonst so fröhliche Frau so sehen zu müssen.

Ich umarme sie, sie nennt meinen Namen. Sie muss nicht viel sagen. Lange stehen wir so da. Ich möchte sie halten. Möchte ihr beistehen. Möchte all meine Gefühle, mein Mitgefühl in diese Geste legen. Ich weine mit ihr. Weine, im Haus der Trauer.

Es war geschehen, kurz bevor ich nach Albanien zurückkam.
Sieben Jungs, alle zwischen 15 und 17 Jahre, in einem Auto.
Dort, bei der Ebene, wo die Ziegen weiden. Dort ist es geschehen.
Das Auto wird von einem Jungen gefahren, der keinen Führerschein hat. Wie so viele hier.
Was genau passiert ist, ich weiß es nicht.
Das Auto fährt schnell, überschlägt sich, bleibt liegen.
Alle steigen leicht verletzt aus. Alle, außer einer.
Er stirbt noch auf der Ebene. Am Unfallort.
Der 15 jährige Sohn unserer Freundin. Tot. Tot.
Zu Ende. So schnell, viel zu früh, viel zu plötzlich.
Warum?

Ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm das sein muss.
Mein ganzes Herz, mein ganzes Mitgefühl, es gehört ihr in diesem Moment.
Ich halte ihre Hand in meinem Schoß, meine andere Hand liegt auf ihrem Rücken,
Als ob ich sie stützen möchte. Als ob ich meine Hände benutze, um zu reden,
Zu formen, was meinem Mund so schwer fällt in Worte zu fassen.

Wir setzen uns. Kurze Begrüßung der anderen Frauen.
Wie hohl klingt die übliche Frage nach dem Wohlergehen.
Wie scheue ich mich das Wort "gut" zu sagen. Es scheint mir nicht angebracht.
Nicht hier.

Ich bete innerlich. Ringe nach Worten. Wie beginne ich? Was kann ich sagen?

Ich war schon öfter zu Trauerbesuchen. Aber noch nie bei so einem.
Nie bei einer jungen Mutter, die ihren 15.jährigen Sohn begraben musste.
Er verabschiedete sich an diesem Tag, wie das blühende Leben.
Und am nächsten Tag liegt er begraben in der Erde dieses kleinen Dorfes.
Ein Leben, eine Hoffnung, eine Zukunft - begraben.

Ich rede von den Worten von Menschen und den Worten von Gott.
Worte von Menschen sind leer. Nur Gott spricht Worte, die unser Herz wirklich erreichen in solch einem Moment.
Ich lese Psalm 62.
Worte, die mein eigenes Herz schon so oft in der Tiefe erreicht haben.

Wir sprechen über Gottes Wege. Gottes unfassbare Wege.
Und darüber, dass er dennoch gut ist.
Und dass er Frieden bringen kann und das Herz bewahren kann vor der Bitterkeit und Härte. Er kann! Er kann!

Ich denke an eine Erzieherin an der Schule, an der unsere Freundin Direktorin ist.
Sie ist eine geschlossene, depressive Frau.
Unsere Freundin erzählte uns, dass sie vor langer Zeit ihren Sohn verloren hat.
Nun ist sie selbst in dieser Lage.
Und wie wünsche ich ihr, dass sie nicht eben so wird.
Wie wünsche ich ihr eine Begegnung mit unserem lebendigen Gott!

Immer wieder schweigen wir, halten die Hand fest, weinen.

Dann frage ich, ob wir für sie beten dürfen.
Wir dürfen. Wir hören auf Gott und lassen uns leiten in unserem Gebet.
Wie gut, wie gut, dass da ein Gott ist, der hört!
Ein Gott, der nahe ist. Der alles unter Kontrolle hat.
Und wie schrecklich zugleich, dieses Leid ohne eben diesen Gott erleben zu müssen.

Wir lassen unserer Freundin ein neues Testament da.

Sie ist dankbar. Sie ist berührt.
Und wir beten sehr, dass sie von Gott angerührt wird.
Und dass er sie findet, mitten in ihrem Leid.

Wir gehen dann. Treten aus dem Haus der Trauer in die Sonne.
Es ist so still. So warm. So idyllisch.
Ich bin so voller Hoffnung.
Hoffnung, dass hier an diesem Ort neues Leben geboren wird.
In den Herzen.

Gott segne diese Familie!

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